geblocktegedanken

Zeus‘ Winterresidenz

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Die letzten Tage des Monats November stehen an. Nur noch viermal schlafen und dann dürfen wir die erste Tür am Adventskalender aufbrechen. Vor einigen Tagen war hier noch schönstes Sonnenwetter. Die Temperaturen waren zwar leider nicht mehr so hoch, aber die nicht wenigen und äußerst wohlig wärmenden Sonnenstrahlen klopften fast täglich morgens ans Fenster, um mich herauszulocken.

Doch die Lage hat sich drastisch geändert. Mir scheint, dass Sonnengott Ra jetzt Urlaub auf den Yalabumbana Islands (Inselgruppe im Südwestostpazifik) macht. Als er dort ankam, hat er mit Zeus noch einen Tee getrunken und ihm sein Bedauern ausgedrückt, dass sein Urlaub jetzt vorbei ist. Zeus war zwar gerade mit der Beobachtung einheimischer Fräuleins sehr beschäftigt, aber wenn die Pflicht ruft, dann ruft die Pflicht.

Zeus ist jetzt also hier angekommen und hat seine Arbeit aufgenommen. Jedenfalls ist das meine Vermutung. Genau kann ich das nicht sagen, da die ägyptische und griechische Götterwelt nicht so sehr mein Fachgebiet sind. Fest steht jedenfalls, dass Gewitter jetzt im Prinzip jeden Tag auf der Tagesordnung steht. Auch dienstags.

Nachts blitzt es heller als draußen

Am Nachmittag sitze ich in der Bibliothek auf einem meiner Lieblingsplätze direkt am Fenster, von denen man die ganze Stadt mit dem endlosen Mittelmeer im Hintergrund überblicken kann. Vor mir auf dem Tisch liegen einige noch relativ langweilig aussehende und in der linken oberen Ecke zusammengeheftete A4-Bögen. Daneben liegen ein oranger (orangener? orange? orangefarbener? apfelsiniger?), ein grüner und ein blauer Textmarker. Mein Plan ist, die „wichtigen Dinge“ auf den Bögen zu markieren, damit die ganze Sache danach richtig schön bearbeitet aussieht. Und wenn ich Glück habe, dann sieht es danach auch noch schön aus. Einen blauen Textmarker benutze ich übrigens zum ersten Mal in meinem Leben. Das macht die Angelegenheit natürlich noch spannender und attraktiver. Hier gibt es schon echt tolle Sachen im Libanon. Dumm nur, dass auf dem Marker „Made in Austria“ steht.

Im Laufe meiner Bemühungen und künstlerischen Kreativübungen entwickelt sich das Wetter vor dem Fenster in einer immer spannenderen Richtung. Schon heute Vormittag während der Vorlesung wurde es auf einmal schlagartig dunkel, Blitze zuckten und sind nur einige Meter neben dem Klassenraum eingeschlagen und es hat wie aus Eimern geschüttet.

Auch jetzt wird der Himmel wieder bedrohlich dunkel. Finstere Wolken ziehen über der Stadt auf und versprechen nichts Gutes. Es ist noch kein später Nachmittag, sodass es eigentlich noch recht hell sein sollte. Eigentlich.

Und dann geht es auch schon wieder los. Majestätische Blitze zucken und schlagen unten in der Stadt in die höchsten Gebäude Beiruts ein. Für Augenblicke scheinen sie den Himmel mit der Erde verbinden zu wollen. Wenn ich nicht aus dem Fenster sondern auf meine Markierungen gucke, sehe ich nur wie kurzzeitig draußen alles erhellt wird. Das ist dann immer ein Anlass schnell hochzugucken. Aber wie jedes kleine Vorschulkind weiß, kann man nicht so schnell reagieren, dass man den Blitz noch sieht. Nur ich scheine das nicht zu verstehen und gucke fast jedes Mal wieder hoch. Ich muss mich zwischen dem Naturkino vor dem Fenster und den Buchstaben auf meinen Unterlagen entscheiden.

Ich erinnere mich, dass ich mich in der Bibliothek befinde, sauge die akademische Luft mit meiner Nase ein und erinnere mich an Aristoteles und seine Goldene Mitte. Ich analysiere, evaluiere und synthetisiere blitzschnell. Das Ergebnis: ich werde ein bisschen was von dem Film vor dem Fenster gucken und zwischendurch die Werbepause mit Lernen füllen. Oder auch anders herum. Je nach dem, ob man das aus einer öffentlich-rechtlichen oder privaten Perspektive betrachtet.

Es ist schon faszinierend, die langsam vorbei ziehenden Wolken zu betrachten und nur darauf zu warten, dass sich die Spannung im nächsten Moment krachend entlädt und ein Gebäude oder einen Kran komplett unter Strom stellt.

Ich konzentriere mich wieder auf das zu Lernende und versuche nicht wieder der Versuchung zu verfallen bei jedem Aufblitzen schnell aufzublicken. Nach einigen Minuten (vielleicht auch nur Sekunden) gucke ich wieder hoch und aus dem Fenster. Was ist passiert? Warum sehe ich die hohen Gebäude nicht mehr? Wo ist Beirut hin? Ist Beirut bei Ruth? Ist Beirut nicht mehr am Fuße des Berges? Ist Beirut nicht mehr bei Fuß? Sagt Beirut Bye bye? Ist Beirut bei Ruth bei Fuß im Beiboot und sagt Bye bye?

Ich befinde mich ungefähr zwei bis drei Kilometer Luftlinie vom Meer, doch jetzt kann man auf einmal schätzungsweise nur noch einen knappen Kilometer weit blicken. Weiter unten über der Stadt regnet es so stark, dass man die Gebäude nicht mehr erkennen kann. Ein Wasservorhang hat einfach mal die Sicht verhängt. Was das Wetter nicht so alles kann. Der Protagonist hat augenscheinlich entschieden, dass der Vorhang auf der Bühne mal eben zugezogen wird.

Ich sollte ab jetzt einfach jedes Mal eine Kamera mitnehmen, denke ich mir. Am Abend in der Dunkelheit wiederholt sich das Spektakel noch einmal. Im ersten Moment überlege ich, ob vielleicht ein Stromausfall der Grund dafür ist, dass die Gebäude nicht mehr zu sehen sind. Stromausfälle passieren hier am Tag nämlich ungefähr so häufig wie man auf die Toilette geht. Allerdings sehe ich die etwas dichter stehenden Gebäude noch und im Licht einer Laterne sieht man, dass da wieder einige 1000 Liter auf den Boden stürzen. Vielleicht auch etwas weniger. Also ist es wieder der Regen, schlussfolgere ich geschickt und folgerichtig.

Das Wetter gefällt mir hier in Beirut jedenfalls sehr gut. Eine weitere Angewohnheit, die das Wetter hier hat, ist, dass es meist nachts gewittert. Das macht die ganze Geschichte für den interessierten Zuschauer natürlich noch ein bisschen einfacher und attraktiver.

Schließen möchte ich heute mit einem alten libanesischen Sprichwort:

إذا يمكنك أن تقرأ هذة انت تعرف اكثر من القرآءالآخرين. („Siehst du es am Fenster blitzen, musst du schnell nach oben flitzen. Denn von oben, das ist klar, ist die Sicht ganz wunderbar.“)

Autor: geblocktegedanken

Der Grund, warum ich einen Blog angefangen habe, ist ein freiwilliges soziales Jahr in Mexiko. Mittlerweile bin ich nicht mehr in Mexiko, versuche aber trotzdem, den Blog regelmäßig mit Neuem zu füttern. Ob euch das interessiert, was ich hier posten werde, weiß ich nicht, aber ich werde mich bemühen, dass es nicht langweilig wird.

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